‚Reis bedeutet Tränen in Nordkorea’ – eine geflohene Poetin

Im Nebenhaus verhungerte Yeon Hees Familie

 

Ein Reisbehälter beschriftet mit ihren Namen

 

Angst davor wieder zu hungern, sind sie hier
daran verhungert

 

Im Reisbehälter wurden sie beerdigt

 

Diese Passage der Poetin Lee Ga Yeon „SSal (roher
Reis) Bin,“ stammt aus der Gedichtsammlung „Der Abend, Sehnsucht nach Bap“
(„The Evening, Longing for Bap“), welche kürzlich von Maeul veröffentlich
wurde.

 

Bap (gekochter Reis) oder Ssal (roher Reis)
scheinen nicht gerade die typischsten Themen für Gedichte zu sein, dennoch
zeigt es das starke Verlangen der Autorin, einfach nur eine Schüssel voll Reis
zu genießen.

 

Lee Ga Yeon ist aus Nordkorea geflohen.
Geboren wurde sie in Haeju, Süd-Hwanghae Provinz. Nach Südkorea ist sie 2011
geflohen. Lee begann ihre dichterische Karriere im Dezember 2012 durch einen
koreanischen Literaturwettbewerb, woraufhin sie im Jahr darauf den Preis des
Ministeriums für Wiedervereinigung verliehen bekam.

 

Auch wenn sie von Zeit zu Zeit von Gefühlen
wie Depression und Verbitterung eingeholt wurde, war Lee stets in der Lage ein
Gedicht nach dem Anderen zu verfassen, in der sie ihren verzweifelten Wunsch
beschrieb, eine Schlüssel Reis in Nordkorea essen zu können.

 

Während ihrer Kindheit träumte Lee öfters
davon in einer Wohnung mit Terrasse zu leben, wo sie genügend zu Essen hätte
und Pflanzen anbauen könnte. Nachdem sie jedoch realisierte, dass ein solcher
Traum in Norden niemals Realität werden kann, flüchtete sie im Alter von 28
Jahren. Sie lief so lange bis ihre Schuhsohlen komplett ausgefranzt waren, in
der Hoffnung eventuell den Tumen zu überqueren, der Fluss, welcher als Grenze
zwischen Nordkorea und China dient.

 

Lee erzählt, dass sie oft mit der
herzzerreißenden Erinnerung kämpfen muss, in der ihre Mutter und Geschwister
sich nach einer Schüssel voll Reis sehnen. Vor ihrer Flucht hatte sie keine
Möglichkeit sich von ihrer Familie zu verabschieden. Die Einsamkeit verarbeitet
sie in ihren Gedichten. Ironischerweise bringt das Gefühl von Freude im Süden
des Landes, mehr Erinnerungen von den vielen Nächten im Norden zurück, in denen
sie zu hungern hatte.

 

Lees Traum ist es eine „Reispoetin“ zu werden.
Sie will solange über Reis schreiben bis es auf der Welt keine einzige Person
mehr gibt die Hungern muss.

 

Vor kurzem sprach Lee mit Daily NK und
erzählte, dass sie „die Menschen mit Gedichten über Reis auf die
Schwierigkeiten der Wiedervereinigung aufmerksam machen möchte.“ Sie fügte
hinzu, dass sie „’Der Abend, Sehnsucht nach Bap’ nicht lesen sollen um die Gedichte
aufzugliedern oder zu analysieren, sondern sie eher mit ihren Herzen lesen
sollen.“

 

Daily NK (DNK): Warum  der Titel „Der Abend, Sehnsucht nach
Bap“?

 

Lee Ga Yeon (LEE):  Mein Traum war es als Kind eine volle Schüssel voll Reis zu
essen. Das ist eine ganz normale Sache. Sobald es Abend wird, bedeutet es, dass
sich der heutige Tag in den morgigen Tag überleitet, aber ich hasste das
wirklich sehr. Die Tatsache, dass es ein Morgen gibt bedeutet auch, dass sich
die Angst nicht genug Essen zu haben fortführt. Die Abende haben mir geholfen
als Kind viel erwachsener zu sein.

 

Deswegen fühle ich mich vor allem während des
Abends an meine Heimat erinnert. Ich versuchte das Gefühl von Heimweh, wo ich
verzweifelt einfach nur eine Schüssel Reis wollte, genau als ein solches Gefühl
zu sehen. Das Gefühl zu haben, in die Heimatstadt zu gehen.

 

DNK: Was bedeutet für Sie Bap im Norden sowie
im Süden?

 

Lee: In Nordkorea bedeutet Bap nicht Reis. Es
bedeutet Tränen. Um von Tag zu Tag zu kommen, mussten wir die Rinde von Bäumen
abpellen, Gras ausgraben und es verkaufen, um dann davon Reis zu kaufen.  Wir wussten, wenn wir das aßen was wir
hatten, würden wir uns am nächsten Tag wieder Sorgen machen. Deshalb haben wir
ab und zu absichtlich etwas Brei aufgehoben. Bap war immer etwas, dass wir
unbedingt wollten, aber wovor wir uns auch fürchteten.

 

Aber im Süden bedeutet Bap Dankbarkeit. Es ist
etwas, dass ich beruhigt essen kann. 
Es ist eine Form von Leben, die ich als eine Geste von Liebe jemand anderen
anbieten kann. Darüber hinaus ist es im Süden ein unerschöpflicher Zirkel der
Liebe, der einen immer wieder mit Unterstützung und Energie versorgt. Auch
jetzt, wenn ich vor einer Schüssel voll heißem Reis sitze, denke ich zurück an
die Menschen im Norden.

 

 

Wir hatten keine Löffel zu Hause.

 

Ich bin aufgebrochen und habe meine Haare
abgeschnitten um einen Vater zu kaufen

 

Es war teuer

 

Ich habe nie einen gesehen, weder von einem
geschrieben

 

Meine Familie, wir kochen Wasser um unsere Mägen
zu füllen

 

Es lässt unsere kalten Herzen schmelzen

 

Wir füllen leere Säcke mit unseren Fingern.

 

Wenn es uns besser gehen sollte, ist ein Vater
das erste was ich will.


 

DNK: Das oben genannte Gedicht trägt den Titel
„Das beste Geschenk in der Welt“ und ist deshalb sehr berührend. Was hat Sie
dazu inspiriert?

 

LEE: Meine Familie war arm. Als ich sieben
Jahre alt war, starb mein Vater. Ich erinnere mich an den Behälter voll Löffel
den er zurückließ. Es waren zwar ein paar Löffel darin, aber wir aßen niemals
Reis damit. Ich dachte immer, dass wenn wir einen Vater hätten, dann wäre alles
nicht so schlimm.

 

Als ich älter wurde, realisierte ich, dass die
richtige Armut davon kam keinen Vater zu haben. Es gab keinen richtigen Vater,
der auf das Land achtete. Die Figur, die als Vater der Nation verehrt wurde,
war jemand der mir noch nicht mal dabei helfen konnte meinen Magen zu füllen.

 

Von da kommt auch meine Ambition. Ich wollte
einen „richtigen Vater“ für mein Land kaufen. Jemand der das Leiden und den
Schmerz seines Volkes kennt. Ich dachte, wenn ich alles tun könnte was in
meiner Macht steht und einen guten Vater in den Norden bringe, dann würde dies
das beste Geschenk der Welt für die Menschen dort sein.

 

DNK: In welche Richtung sollen Ihre zukünftigen
Gedichte gehen?

 

LEE: Viele Menschen gehen das Problem der
Wiedervereinigung von einer politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und
sozialen Perspektive an. Aber ich möchte die Dinge einfach halten. Bap ist unser
Grundnahrungsmittel. Ich gehe davon aus, dass wenn ich Bap als eine Art von
Ansatz verwende, wird es jeder im Süden und Norden einfach verstehen. Ein
Beispiel: Wenn man alleine kalten übriggebliebenen Reis ist, dann ist das
traurig. Aber es ist köstlich sobald man es zusammen mit anderen isst. Ich
möchte einfache Konzepte kreieren, die den Leuten hilft eine Wiedervereinigung
zu akzeptieren und darüber schreiben. Durch die Geschichte von Bap möchte ich
die Flüchtlinge im Süden und die Menschen im Norden erreichen.

 

DNK: Gibt es etwas das Sie gerne anderen
Flüchtlingen im Süden mitteilen möchten?

 

LEE: Ich hoffe, dass jeder dankbar für jeden
einzelnen Tag ist. Ich bin dankbar, dass ich Reis essen
kann und ich bin dankbar am Leben zu sein. Ich würde deswegen gerne das Gedicht
„Anfang“ mit ihnen teilen.

 

Wenn du weißt was Dankbarkeit ist, dann bist
du eine erfolgreiche Person.

 

Wenn du diese Wertschätzung beibehältst, dann
bist du ebenfalls eine erfolgreiche Person.

 

Dankbarkeit ist ein wundervoller Anfang für
dich und für mich.

 

Versuche Dankbarkeit nicht anderen Menschen in
den Kopf zu setzen.

 

Und, versuche Wertschätzung nicht anderen
Menschen in den Kopf zu setzen.